Weihnachten in russischer Gefangenschaft.

Weihnachten in russischer Gefangenschaft.

 

Die Weihnachten des Jahres 1916 waren meine traurigsten die ich den vier Kriegsjahren verbringen musste. Die ersten Weihnachten im Jahre 1914 lag ich in Znaim als Ruhrkranker. Weihnachten 1915 lag ich im Felde in Wladimir-Wolinski. Die vierten Weihnachten im Jahre 1917 war ich noch in Russland. In den Quartieren waren wir abgesondert. Acht Mann polnische und ungarische Juden waren in einer Herberge und wir waren vier Deutsche und vier Magyaren, Katholiken, auch in einer Behausung beisammen. Wir ersuchten unseren Herrn, der uns jeden 5. Tag die Fassung brachte, ob wir unseren Weihnachtstag feiern könnten. Die Bitte wurde uns gewährt. Er gab uns jeden 30 Kopeken Geld. Es war mein erstes Geld, das ich in Russland erhielt. Für unsere Arbeit bekamen wir ja keine Bezahlung. Für die 30 Kopeken kauften wir uns weißes Brot für den Feiertag. Am heiligen Abend als wir nach Hause kamen hatten wir doch auch ein Weihnachtsgefühl, wenn auch mehr trauriger als freudiger Art. Trotzdem das Gemüt abgehärtet, überfiel uns ein unbeschreibliches Heimweh. Der Gedanke, Weihnacht zu Haus bei der Familie unterm Christbaum, wie wird ihnen hart zu mute sein, wenn sie nicht wissen wo der Gatte, der Vater weilt. Sie konnten es ja nicht wissen, da ich zu oft meine Anschrift änderte. Und ich? Wann werde ich wieder einmal etwas erfahren von der Heimat. Diese oder ähnliche Gedanken hatte jeder. Wir knieten in der Stube nieder und beteten andächtig. Die Tränen konnte keiner mehr zurückhalten. Das erste Mal in der Gefangenschaft habe ich geweint. Die Bauersleute die uns sahen weinten auch mit. Sie hatten ja ein Herz für uns arme Kriegsgefangenen. Einen Christbaum und zur Messe gehen gab es nicht. Da wir vier deutsche Katholiken waren, sangen wir das Lied "Stille Nacht, heilige Nacht." Aber schon bei den ersten Worten versagten uns die Stimmen, wir konnten nicht mehr weitersingen.

 

Am Christtag morgen hatten wir ein besseres Frühstück. Weißes Brot zum Tee und die Bäuerin gab uns etwas Milch dazu. Den ganzen Tag verbrachten wir mit Plaudern und Gebet. Ein Kirchengehen gab es dort nicht, da keine römisch-katholische Kirche dort ist. Am zweiten Feiertag, Stefanitag gingen wir wieder auf Arbeit wie sonst, ebenfalls am Neujahrstag. Die Sonntage waren immer frei. So ging es dann täglich wieder weiter bis zu den russischen Weihnachten welche 13 Tage später gefeiert werden. Ich war sehr neugierig wie die Russen Weihnachten feiern würden. Den ersten Feiertag hatten wir frei. Es wurde wie früher alles gereinigt. Dass jemand in die Kirche ging bemerkte ich nicht. In unserem Dorfe gab es keine Kirche. Mittags wurde zum Tanzen angefangen bis um Mitternacht. Das dauerte so acht Tage hindurch. Es waren beinahe lauter Weibsleute, mit Ausnahme von ein paar junge Burschen und ein paar Urlaubern. Die Musik besorgte ein halbblöder Bursche mit einer Ziehharmonika. Er spielte in einem fort dieselbe Leier. Wenn der nicht dabei war, so sangen die Mädchen im Takt dazu, auch immer dasselbe. Es wurde von Haus zu Haus gegangen und weiter getanzt. Täglich ging man in drei bis vier Häuser. Armes Volk! So etwas könnte mir keine Weihnachtsfreude bereiten. Das Essen war bei ihnen auch ein wenig besser als sonst. Weißes Brot und Milchkaffee, das andere war so ziemlich das selbe, Krautsuppe mit etwas saurer Milch. Die Erdäpfel wurden gekocht, geschält, zerstückelt und dann wieder im Ofen getrocknet. Beim Auftragen der harten Erdäpfel wurden sie mittels einer Hühnerfeder mit Leinöl bestrichen und so verzehrt. Schwarzes Kornbrot hatte man überall genug, in der Fastenzeit nahm man kein Leinöl zu den Kartoffeln, auch keine Milch zum Kraut, man aß keine Eier, Fleisch hatten sie sowieso nicht. Das war eine billige Kost. Die Bauern sind in dieser Gegend arm. Meistens hat ein Bauer nur ein Pferd, zwei Rinder und drei oder vier Schafe. Die um ein paar Stück mehr Vieh hatten gehörten schon zu den größeren Bauern. Ihre Haupteinnahme ist dort der Flachs. Dieser gedeiht sehr gut. Korn Hafer und Erdäpfel werden auch ziemlich schön. Weizen gedeiht in dieser Gegend, nicht. Äpfel und Zwetschkenbäume sieht man vereinzelt die Früchte sind aber klein und sauer.