Von Moskau bis Kaschin.

Von Moskau bis Kaschin.

 

In Moskau mussten wir umsteigen und auf einen anderen Bahnhof marschieren. Es war mir leid, dass ich die Stadt nicht besser sehen konnte. Von Moskau fuhren wir nach Panio (Gubernama Twer). Hier wurden wir unweit des Bahnhofes in einem Häuschen einquartiert. Ein Förster hatte für uns zu sorgen. Verköstigung bekamen wir nach Vorschrift für Gefangene (3 Pfund Brot, 1/4 Pfund Fleisch, Kaffee, Tee und Zucker). Das war genügend, da der Förster ein grundehrlicher Mann war und uns nicht bestohlen hatte. Aber Arbeit hatte er noch keine für uns. So mussten wir in 8 Tagen schon wieder wandern. Zwei Soldaten holten uns ab. Wir fuhren wieder ein Stück nördlich auf der Bahn nach Kaschin, auch Gubernama Twer genannt. Kaschin ist eine Stadt mit über 20.000 Einwohner. Dort ist auch schon Mitte November längere Zeit Winter. Die Flüsse sind schon zugefroren. Wie wir 20 Mann mit unseren beiden Begleitern auf die Hauptplätze (Geschäftsviertel) kamen bot sich uns gleich ein anziehender Anblick. Es herrscht reges Leben. Die Bauern aus der engeren und weiteren Umgebung führen ihre Erzeugnisse hierher auf den Markt. Da gibt es Hunderte von Fuhrwerken mit Heu, Stroh und Flachs, und Holz. Auch Kälber und Schafe haben sie auf den Schlitten. Auch das Rindvieh für die Fleischer wird hier feilgeboten. Die Händler und Verbraucher kaufen zusammen. Das merkwürdigste aber ist, dass es dort so viele Krähen gibt. Diese sind sehr frech. Setzen sich auf die Pferde, oft auch auf die Pudelmütze eines Russen und spazieren zwischen Mensch und Tier hin und her. Das wäre mir auch öfters passiert, duldete es aber nicht. So geht es dort den ganzen Winter täglich zu, außer sonntags.

 

Wir wurden dann auf die Gerodska Ubrawa (Stadtkomune) geführt, von da weg mussten wir auf Holzarbeit in ein Bauerndorf, (Vedosina) 10 Werst weit von der Stadt Kaschin. Die meisten von uns hatten sehr schlechte Bekleidung und Schuhe. Einem schauten die Zehen heraus, die anderen hatte überhaupt keine Sohlen mehr an den Schuhen. Bei anderen wieder sah man die Bloße Haut von den zerrissenen Kleidern. Mir selbst ging es auch so. In Vedosina angekommen bezogen wir Quartiere in zwei Bauernhäusern. In jedem 10 Mann. Die beiden Straßnik bezogen eine eigene Wohnung. In der Stube konnten wir schlafen. Auf dem Boden war Stroh ausgebreitet. Das Lager war nicht schlecht, hatten wir doch bisher nur hartes Lager, höchstens wenn es nicht so kalt war die Kleider als Unterlage und den Mantel als Decke benutzt. Dafür ging jetzt die harte Arbeit los. Holzfällen und zu Brennholz verarbeiten. Um 6 Uhr früh gingen wir in den Wald, noch bei Dunkelheit wurde gearbeitet. Erst abends wenn es finster war kehrten wir zurück, in unsere Behausung. Unter Tags gab es nichts zu essen als höchstens ein Stück Brot. Zum Frühstück bekamen wir Kascha von Buchweizen und Tee. Das Nachtmahl bestand aus etwas mit Leinöl gerösteten Erdäpfel, etwas Rindfleisch in der Krautsuppe und Tee, natürlich immer ohne Rum. Zucker und Brot erhielten wir alle fünf Tage. Brot war genug, je Tag und Kopf drei russische Pfund (1 kg 20 dkg). Mit der Verpflegung waren wir schon zufrieden. Nur dass wir täglich zwei Mahlzeiten hatten und das Rindfleisch nur von Rindsköpfen war. Es wurden ganze Rindsköpfe für uns gekauft und pro Tag 4 Pfund für uns gerechnet, das ist für 20 Mann 2 kg. Das wurde im Sauerkraut gekocht. Viel war nicht dahinter. Dies dauerte fünf Monate, während des ganzen Winters. Nach einigen Tagen bekamen wir auch warme Kleider und Wäsche. Auch eine warme Mütze aus Hasenfellen zum herabstellen und unter dem Kinn zu binden war dabei, so dass nur die Augen, Nase und Mund frei waren. Als Fußbekleidung erhielten wir Patschen aus Flachswerg geflochten und Fetzen und Schnüre zum Füße einbinden. Das war ziemlich warm und gut zum Gehen. Bei der Kälte ging es auch nie nass durch, der Schnee war ja nie weich. Immer mehr Arbeit wurde von uns verlangt. Täglich eineinhalb Sarschen Scheiter aufstellen von zwei und zwei Mann. Ein Sarschen ist 2,16 m hoch und lang. Es wurde aber nur halbe Sarschen Höhe aufgestellt und drei Sarschen lang. Die Scheiterlänge wurde auf ungefähr 55 cm Länge geschnitten. Das entspricht nach unserem Maße beinahe zwei Klafter Holz. Die Russen wissen auch genau was zwei fleißige Arbeiter leisten können und das wurde von uns verlangt. Unter uns waren Leute die diese Arbeit nicht leisten konnten. Sie erhielten Schläge mit der Knute (Hundspeitsche). Die Straschnigg (Aufseher) waren bewaffnet mit Knute und Rewolver. Die Holzart bestand überwiegend aus Birken und Ästen. Alles sehr lang und schön. Wir hatten gute Sägen und Hacken, sonst wäre es für zwei Mann unmöglich gewesen diese Arbeit zu leisten. Nach drei Wochen waren wir schon um vier Mann weniger. Sie kamen wegen Krankheit ins Krankenhaus. Wir andern 16 hielten den ganzen Winter durch, wohl auch nicht ohne krank zu sein, oder Glieder und Gesichtserfrierungen. So rückten die nächsten Weihnachten heran.